Rahel von Marschall weiß: „Ich kann nicht jeden retten.“

„Für mich war immer klar, dass ich im sozialen Bereich arbeiten will“, sagt Rahel von Marschall. Seit Juni 2023 ist die 28-jährige Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin (B.A.) für das dreijährige Projekt „See me!“ – Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche bei familiärer Gewalt am Beratungszentrum Hüxterdamm verantwortlich. Zuvor hat die Neu-Lübeckerin viele berufliche Vorerfahrungen gesammelt.

Eine Art Schlüsselmoment für die damals 15-Jährige sei ein Auslandsjahr in Südafrika gewesen. Es führte ihr das Elend der Townships vor Augen. „Die Kinder und Jugendlichen dort haben keine Perspektive“, so Rahel von Marschall. „Auch heute gehe ich zu denen, die von der Gesellschaft nicht gesehen werden.“ Durch die Jugendschöffenarbeit ihres Vaters im heimischen Nordrhein-Westfalen entwickelte sie bereits als Teenagerin Interesse an der Arbeit mit Straftätern und machte ihr erstes Praktikum in einer Jugendarrestanstalt. Auch bei der Jugendgerichtshilfe des Jugendamtes, in der Jugendpsychiatrie, im Frauenhaus und in einer Suchtklinik sammelte sie praktische Erfahrungen.

„Generell haben mich damals Straftaten interessiert – egal auf welcher Seite. Heute setze ich mich für die Opfer ein.“ Es sei „eine sehr schöne Arbeit“, betont Rahel von Marschall. „Die Klientinnen und Klienten fühlen sich von mir gesehen, sie fühlen sich verstanden, sicher und aufgehoben.“ Bereits Dreijährige können zu ihr kommen – natürlich mit den Eltern. „Das sind in der Regel die Mütter, denen ich gemeinsam mit ihrem Kind einen Rückzugsraum biete. Während das Kind spielt rede ich mit der Mutter.“

Portrait Parva Soudikani

Rahel von Marschall ist seit Juni 2023 für das Projekt „See me!“ am Beratungszentrum Hüxterdamm verantwortlich. Foto: Lena Modrow

Ich versuche meinem Gegenüber immer zu zeigen, wieviel er oder sie doch wert ist.
Rahel von Marschall

In der Regel ist ihre Arbeit aber aufsuchend im gesamten Landgerichtsbezirk Lübeck, der auch die Kreise Ostholstein, Herzogtum Lauenburg und Stormarn einschließt. „Die aufsuchende Arbeit ist belastender, als wenn ich Fälle am Schreibtisch bearbeite“, so die Sozialpädagogin, die noch bis April 2025 eine 13-monatige Weiterbildung zu Trauma-Pädagogik, traumazentrierter Fachberatung und psychosozialer Arbeit macht. „Ich kann es aber gut wegstecken.“ Sie wende verschiedene „Distanzierungstechniken“ an und erinnere sich immer wieder daran, dass sie nicht „alle retten“ könne. „Ich bin einfach froh über jedes einzelne Lebewesen, dessen Schritte ich ein kleines bisschen in die richtige Richtung lenken kann.“ Zudem habe sie mit der Gemeindediakonie einen guten Arbeitgeber, der ihr den Rücken stärke.

Es sei wichtig, Ressourcen bei ihren jungen Klientinnen und Klienten zu erkennen, aber auch bei sich selbst, und mit diesen zu haushalten. „Ich versuche meinem Gegenüber immer zu zeigen, wieviel er oder sie doch wert ist“, so Rahel von Marschall. „Viele haben dafür gar kein Gefühl oder können es nicht annehmen.“ Die Themen, die ihr begegnen – bis hin zu einem drohenden Femizid – sind oft schwer auszuhalten. „Es ist harter Tobak“, gibt Rahel von Marschall zu, „aber leider ist er alltäglich. Die Menschen verdrängen es nur, weil sie sich hilflos fühlen. Dabei kann jeder helfen – einfach, indem er nicht wegsieht.“

Wie schaltet sie von all dem ab? „Zuhause mag ich einfach die Ruhe“, lautet ihre Antwort. Mit Freund und zwei Katzen genieße sie ihr Lübecker Heim („Ich bin hier total angekommen“) und im Sommer sei sie „in und auf dem Wasser“ an Ostsee oder Wakenitz zu finden.

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